Denkmal zur Erinnerung an alle Opfer des Nationalsozialismus eingeweiht
Die Stadt Wasserburg hat gestern auf dem Heisererplatz das zentrale Denkmal zur Erinnerung an alle Opfer des Nationalsozialismus eingeweiht. Auf den 62 Stelen , erbaut nach einem Entwurf der Künstler Dagmar Korintenberg und Wolf Kipper, ist noch Platz für die Namen weiterer Opfer. 742 Einträge zählen die Stelen bereits. Die Stadt sieht ihr Schicksal als Mahnung für Gegenwart und Zukunft, wie der erste Bürgermeister Michael Kölbl in seiner Ansprache betonte.
Der würdevolle Festakt, zu dem rund 300 Gäste erschienen waren, wurde von der Wasserburger Stadkapelle untermalt. Zu den weiteren Rednern zählten neben Rainer Schneider (Vizebezirkstagspräsident), Prof. Dr. Peter Zwanzger (Ärztlicher Direktor des Inn-Salzach-Klinikum) und Franz Hartl (Vorstand der Stiftung Attl) auch Helene Leitner als Vertreterin der Opfer-Angehörigen.
Viele der in den Kriegsjahren durch die Nationalsozialisten ermordeten Menschen stammten auch aus den Einrichtungen Gabersee und Stiftung Attl. Ihnen widmet man sich unter anderem auch in der Wanderaustellung „In Memoriam“ von Prof. Dr. Michael von Cranach, die im Anschluss eröffnet wurde. Sie thematisiert die Patientenmorde in der NS-Zeit und bildet als lokale Ergänzung die Geschichte der Einrichtungen Gabersee und Attl ab.
Zu dieser Sonderausstellung im Museum Wasserburg bietet der Bereich Freizeit & Kultur am 18. März um 17.30 Uhr eine Führung in einfacher Sprache an, die von Mitarbeitern der Stiftung Attl geführt werden wird und sich als offenes Angebot auch an die Betreuten unserer Einrichtung richtet. Anmeldungen sind ab sofort möglich unter: ulrich.huber@stiftung.attl.de
Grußwort von Franz Hartl, Vorstand der Stiftung Attl zur Einweihung des Denkmals für die Opfer des Nationalsozialismus am 27.01.2020
Die Verbrechen des Nazi-Regimes machten auch vor den Bewohnern der Stiftung Attl nicht Halt. Einzelne konnten die Barmherzigen Brüder, die sich damals um die Menschen mit Behinderung in Attel kümmerten, aufgrund ihrer Arbeitskraft vor der Deportation bewahren. Die überwiegende Mehrheit aber – etwa 230 Personen – wurden im Rahmen dieser Aktion, der die Nazis den technischen Namen T4 gaben (es handelte sich um vier Transporte), deportiert und in der Tötungsanstalt Hartheim bei Linz in Österreich ermordet.
Schon ab dem Beginn der Selbstverwaltung hat sich die Stiftung Attl um die Aufarbeitung der Geschehnisse in der Einrichtung bemüht. 1994 wurde in dem Wasserburger Ortsteil ein Denkmal aufgestellt, die damaligen Ereignisse erfasst und schriftlich dokumentiert. Die Inschrift des Mahnmals, das gegenüber dem Kriegerdenkmal in Attel steht und wo auch jedes Jahr am Volkstrauertag ein Kranz niedergelegt wird, lautet:
„Uns allen zur Mahnung. Wir gedenken der Heimbewohner der Stiftung Attl, die in den Jahren 1940/41 der Diktatur der Nationalsozialisten zum Opfer gefallen sind.“
Auch in Hartheim, wo die meisten Bewohner ermordet wurden, steht eine identische Gedenktafel.
Zwar wurden 1994 alle Namen derjenigen Personen, die aus Attl „verlegt“ worden sind – wie es die Nationalsozialisten euphemistisch umschrieben – erfasst. Aber vielfach konnte ihr weiteres Schicksal nicht mehr ermittelt werden. Nicht alle Archive waren damals zugänglich. Doch was 1994 nicht gelungen ist, wurde mit der Vorbereitung zu diesem Denkmal jetzt möglich. Bezirksarchivar Nikolaus Braun konnte durch seine umfassenden Recherchen den Leidensweg vieler Attler Bewohner nachvollziehen. Trotzdem bleiben immer noch Unsicherheiten über einzelne Schicksale. Etwa 120 Menschen wurden in die Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar verlegt. 83 Männer wurden selektiert, ab Oktober 1940 in die Tötungsanstalt Hartheim deportiert und dort umgebracht. 104 Bewohner wurden aus Attl in Schwesteranstalten verlegt.
Diese Verlegung bot nur vorübergehend Schutz, da drei dieser Anstalten aufgelöst wurden. Mindestens sieben Menschen wurden ebenfalls nach Hartheim deportiert und dort ermordet. Weitere starben in sogenannten Hungerhäusern, die ab 1943 eingerichtet wurden. Bewusste Mangelernährung in den Anstalten, darunter auch in Eglfing-Haar, in Erlangen und in Mainkofen, schwächte die Menschen und machte sie anfälliger für Infektionskrankheiten wie Tuberkolose oder Lungenentzündung, denen sie schließlich erlagen. Auch diese perfide Strategie gehörte zum Vernichtungsplan des Hitler-Regimes.
Mit diesem Denkmal geben wir allen Opfern aus Attel „einen Namen“. Wir sprechen nicht nur über die Zahl der ermordeten Menschen, sondern erinnern an die Einzelschicksale und ihren schrecklichen Leidensweg.
Es war ein weiter Weg von der „Vernichtung unwerten Lebens“ 1940 durch die Aktion T4 bis zu einem modernen Teilhabrecht für Menschen mit Handicap. Fast 80 Jahre hat es gedauert bis zur Einführung des Bundesteilhabegesetzes, das zum 1. Januar 2020 in Kraft trat. Und leider ist es immer noch keine Selbstverständlichkeit, das Leben so anzunehmen und in der Gesellschaft so zu akzeptieren, wie es ist. Die Diskussion um pränatale Diagnoseverfahren zeigte dies erst jüngst wieder.
Und noch ein weiterer Gesichtspunkt bekommt durch die Erinnerung eine neue Dimension. Bis vor wenigen Jahren lebten in ganz Deutschland kaum Menschen mit einer geistigen Behinderung im hohen Seniorenalter– einfach, weil diese den Krieg nicht überlebt haben. Umso makabrer ist es, wenn heute die Politik von steigenden Fallzahlen in der Behindertenpflege spricht. Dann wird scheinbar völlig vergessen, was diesen Menschen angetan worden ist. Unsere verbrecherische Vergangenheit und ihre Auswirkungen werden ausgeblendet.
Dieses Denkmal im Herzen von Wasserburg hat eben nicht nur den Sinn, der Ermordeten zu gedenken, sondern auch uns für heute und für die Zukunft zu mahnen.
• Wir wollen nicht vergessen.
• Wir wollen verhindern, dass so etwas je wieder passiert.
• Wir wollen uns darauf besinnen, wenn wir heute Sozialpolitik machen.